Die Wobau und die MWG sehen den 18-Geschosser, den ein Investor auf dem Gelände des einstigen Restaurants „Seeblick“ am Neustädter See errichten will, äußerst kritisch. Und das aus mehreren Gründen. Die Volksstimme nimmt sich in einem Artikel der Problematik an.
Jahrzehntelang war das Restaurant „Seeblick“ beliebter Anlaufpunkt am Neustädter See. Seit fast vier Jahren ist es geschlossen. Nun verfolgt ein Investor Pläne, an der Stelle ein 18-geschossiges Hochhaus zu errichten. Doch dagegen regt sich Widerstand von mehreren Seiten.
„Das passt doch hier nicht hin.“ Wenn Siegmund Gülle aus dem Fenster des MWG-Zehngeschossers an der Salvador-Allende-Straße 21-22 schaut, ist der Blick auf den Neustädter See ungetrübt. „Das ist ein einmaliger Ausblick“, gerät der 78-Jährige ins Schwärmen. Wenn fast direkt davor ein Wolkenkratzer entsteht, wäre es mit der schönen Aussicht vorbei. Nicht nur er ist wenig begeistert von dem Vorhaben. Viele Menschen, die in der „längsten Platte Magdeburgs“ leben, haben sich mit ihren Bedenken an ihn gewandt, weil er Vertreter der MWG ist. Niemand habe sich darüber gefreut, sagt er.
„Wir sehen ein Hochhaus an dieser Stelle aus unterschiedlichsten Gründen als kritisch an“, sagt auch Wobau-Geschäftsführer Peter Lackner. Über Jahrzehnte sei ein Ausflugsrestaurant für die Besucher des Naherholungsgebietes Bestandteil des Planungsgebietes gewesen. Für die Gesamtentwicklung des Neustädter Sees sollte diese Fläche des Bebauungsplans auch weiterhin als öffentliche und gewerbliche Fläche bestehen bleiben, findet er.
Quartier am See entwickeln
Doch ein neuer B-Plan – vorhabenbezogen für das Areal des verwaisten Seeblicks – ist längst in Arbeit. Die Stadtverwaltung hat ihn vorbereitet – und keine Bedenken, was ein Hochhaus an der Stelle betrifft. Der Stadtrat wird morgen bei seiner Sitzung darüber abstimmen, ob das Verfahren in Gang gesetzt wird. Im Bauausschuss hatte es vor einigen Tagen schon Kritik gegeben – wegen der geplanten Verdichtung des Quartiers und der begrenzten Parkmöglichkeiten. Dennoch wurde das Vorhaben im Ausschuss mehrheitlich befürwortet.
Die Wobau wollte das Quartier südwestlich des Sees rund um den Schrotebogen gemeinsam mit der MWG und der WBG „Die Stadtfelder“ entwickeln. Pläne sind schon vor einer Weile vorgestellt worden. Ein Teil davon ist das Grundstück Am Seeufer 10, das der Wobau gehört. An der Stelle, an der früher ein 16-Geschosser stand, der abgerissen wurde, ist ein Hochhaus geplant. Lackner könnte sich einen Deal mit dem Seeblick-Investor vorstellen. Denn: Für das Grundstück Am Seeufer 10 bestehe Baurecht für ein Hochhaus. „Wir könnten uns einen Grundstückstausch vorstellen“, sagt er.
Für ein Erlebnisrestaurant
Falls ein Grundstückstausch gelingen würde, wäre die Wobau dafür, das gesamte Gebiet mit den städtischen und den eigenen Grundstücken komplett neu zu überplanen. „Vor einigen Jahren gab es mal die Idee eines Aquariums, die wir zur Quartiersaufwertung sehr begrüßt haben“, blickt Lackner zurück. Sein Vorschlag nun: „Wir würden einen öffentlichen Ideenwettbewerb zur Entwicklung des Gebiets auch unter Beteiligung der Wohnungsgenossenschaften sehr begrüßen.“
Ein Hochhaus sollte an der Stelle des Seeblicks aber keinesfalls gebaut werden, findet der Wobau-Chef. „Nach unseren Vorstellungen sollte dort ein Erlebnisrestaurant entstehen, das die Naherholung am Neustädter See fördert.“ Und: „Wir haben großes Interesse an diesen Flächen und hatten bereits im letzten Jahr einen Kaufantrag für den öffentlichen Parkplatz an die Stadt gestellt.“ Dieser Parkplatz befindet sich in unmittelbarer Nähe. Auch für dieses Gelände will die Stadt einen neuen B-Plan auflegen. Weil dort ein Parkhaus entstehen soll, um das Problem fehlender Stellflächen zu lösen. Dieses Verfahren soll der Stadtrat morgen ebenfalls anstoßen.
Der Wobau-Chef ist gespannt, wie die Entscheidung ausfällt. Neben der Quartiersentwicklung sieht er noch andere Aspekte, die gegen das Hochhaus am See sprechen. „Unsere Mieter hatten bisher immer einen freien Blick zum Neustädter See.“ Mit dem Bau eines 18-Geschossers an dieser Stelle würde dieser verbaut werden. „Außerdem halten wir die Abstandsfläche zu unseren Hochhäusern für zu gering, insbesondere die Feuerwehrzufahrten“, sagt Lackner. Die Feuerwehraufstellflächen seien ohnehin schon sehr begrenzt und das Parkraumproblem für Anwohner und Besucher des Gebietes würde sich durch den entstehenden Mehrbedarf deutlich verschlechtern.
Die längste Platte der Stadt
Ähnlich argumentiert auch Thomas Fischbeck, Vorstand der MWG Wohnungsgenossenschaft. „Ich persönlich halte so einen 18-Geschosser an dieser Stelle für suspekt.“ Er kenne den Neustädter See noch aus seiner Jugendzeit. Und erinnert sich gern an die Möglichkeit, in der Gaststätte oder auf der Terrasse mit Familie und Freunden zu verweilen.
Mit den im Winkel stehenden Zehngeschossern der Wobau, dem MWG-Zehngeschosser an der Salvador-Allende-Straße 21-22 und einem Block der WBG „Die Stadtfelder“ ergebe sich dort „die längste Platte von Magdeburg“, so Fischbeck. Quasi direkt davor ein Hochhaus zu bauen, würde nicht passen. „Wir haben andere Vorstellungen der Quartiersentwicklung – gemeinsam mit der Wobau im Bereich Schrotebogen, da sehen wir eine Entwicklung.“ Das sei ein mittel- und langfristiges Vorhaben. Mit Bauten, die sich von den hohen Blöcken unterscheiden. „Wir wollen da eine Durchmischung reinbringen, eine Auflockerung“, erklärt Fischbeck. Ähnlich gut sei dies etwa in Olvenstedt und Reform gelungen.
Siegmund Gülle liebt den Zehngeschosser, in den er 1976 als Erstmieter eingezogen ist, noch immer. „Ich will hier nicht mehr wegziehen“, sagt der 78-Jährige. „Das war damals wie ein Fünfer im Lotto“, erinnert er sich an den Moment, als er die Dreiraumwohnung am Neustädter See bekommen hat. Fast 50 Jahre später kann er sich nicht vorstellen, seinen einmaligen Ausblick zu verlieren, weil ein 18-Geschosser auf dem Seeblick-Grundstück gebaut wird. Das letzte Wort hat der Stadtrat.
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